Baltische Bücher - Lesenswertes aus Estland, Lettland & Litauen
Bereits seit 2007 stellt dieser Blog ins Deutsche übersetzte Publikationen aus Estland, Lettland und Litauen vor. Gleichzeitig werden Publikationen deutschsprachiger Autorinnen und Autoren mit estnischen, lettischen oder litauischen Themen einbezogen. Wir möchten aufrufen, verschiedene Leseeindrücke auszutauschen. Die hier aufgeführten Bücher werden für eine Vorstellung in der Radiosendung BALTISCHE STUNDE (Radioweser.tv) vorgeschlagen.
Samstag, 6. September 2025
Rasa Bugavičute-Pēce: Der Junge, der im Dunkeln sah
Mirabilis Verlag 2025, ISBN 978-3-947857-29-6, Illustration: Zane Veldre. 224 Seiten
20 €
Verlagsinfo: Jēkabs soll schon als Kind erwachsen sein. Einerseits, um seinen blinden Eltern durch das alltägliche Leben zu helfen, andererseits, um den Vorstellungen seiner Mutter von einem „idealen Kind“ gerecht zu werden. Je älter er wird, desto mehr versucht er, sich aus dieser Enge zu lösen und auch eigene Wege zu gehen. Verschiedene Erlebnisse, vom ersten Schultag bis hin zur ersten großen Liebe, eröffnen einen spannenden und zugleich tief berührenden Blick auf das Leben in der Wahrnehmung mit anderen Sinnen. Parallel wird die Sicht der strengen Mutter geschildert, die verzweifelt versucht, trotz ihrer Blindheit alles richtig zu machen.
Leseempfehlung: ab 12 Jahren — für Jugendliche und Erwachsene.
Mittwoch, 3. September 2025
Andris Kalnozols: Kalender
Roman. Aus dem Lettischen übersetzt von Sven Otto. Edition fotoTAPETA, Berlin 2025. ISBN 978-3-949262-54-8, 334 Seiten, Preis: 20 € (D) | 20,50 € (A) | 22,50 SFR (CH)
Verlagsinfo:
Oskars, der stille Held dieses Romans aus Lettland, ist ein wenig
eigenartig. Oft folgen seine Gedankengänge einer naiven, kindlichen
Logik; gleichzeitig verfügt er über ein außergewöhnlich gutes
Gedächtnis: Sämtliche Namenstage kennt er auswendig. Deshalb wird er
„Kalender“ genannt. Im Buch erzählt der Protagonist Tag für Tag von den
Ereignissen seines Lebens. Dank seiner eigenwilligen Sicht auf die Dinge
gewinnt Oskars einen besonderen Zugang zu Kindern, Alten und
AußenseiterInnen. Im Laufe eines Kalenderjahres entwickelt sich der
autistisch wirkende, jung gebliebene Mann zum Mittelpunkt eines
skurrilen Freundeskreises – und es gelingt ihm, seine besondere
Weltsicht langsam in Worte zu fassen und seinen eigenen Weg zu gehen.
Andris Kalnozols, geboren 1983, lettischer Dramatiker und Schriftsteller. Seine Stücke wurden am Lettischen Nationaltheater, am Dirty Deal Teatro und am Ģertrūdes ielas teātris aufgeführt. Kalnozols beschäftigt sich seit 1999 mit kreativem Schreiben und veröffentlichte in verschiedenen Zeitschriften. Sein Debütroman "Kalendārs mani sauc" erschien Ende 2020 im lettischen Original. Er lebt und arbeitet meist in Vilnius.
Dienstag, 2. September 2025
Gerhard Böttger: Weidwerk im Baltikum und in heimischen Revieren
Verlagsinfo: In seinem neuesten Werk beschreibt der leidenschaftliche Jäger und erfolgreiche Jagdbuchautor, warum gerade die Länder des Baltikums einen besonderen Reiz auf ihn
ausüben: Ausgedehnte Mischwälder sowie unzählige idyllische
Binnenlandseen oder Flüsse sind malerische Kulisse für seine packenden
Erlebnisse auf der Fährte des Elches oder bei der Jagd auf Damwild und
Braunbär.
Gerhard Böttger erzählt mitreißend von der
faszinierenden Auer- und Birkhahnbalz in einsamen und verwunschenen
Moorlandschaften, von der Brunft der großen Geweihten, von der Jagd auf
Muffel in Tschechien oder auf Kronenhirsche und kapitale Schaufler in
Bulgarien. Doch auch dem heimischen Weidwerk in seiner bunten Fülle, das
ihn erfüllt und geprägt hat, widmet sich der Autor. Seine
Auseinandersetzung mit historischen und gesellschaftlichen Hintergründen
machen seine Erzählungen zu etwas Besonderem.
Mittwoch, 20. August 2025
Carolina Pihelgas: Schnittlinie
Verlangsinfo:
Ein kraftvolles, ehrliches Zeugnis eines emotionalen Abgrunds im Leben einer jungen Frau - die über die Natur zurück ins Leben findet.
Liine reist allein aufs Land, nachdem sie einen Schlussstrich unter eine gewaltvolle Beziehung gezogen hat. Sie zieht sich in ein Landhaus der Familie zurück, um wieder zu sich selbst zu finden und sich auf die Suche danach zu machen, was sie wirklich glücklich macht. Die Kämpfe in ihrem Inneren werden von den Kriegsgeräuschen eines nahegelegenen Truppenübungsplatzes begleitet, dessen Expansion das alte Bauernhaus, in dem sich Liine nach langer Zeit endlich wieder sicher fühlt, und das ganze Dorf zu zerstören droht.
Eine eingängige, nahbare Geschichte von Angst und Heilung, Furcht und Hoffnung, Aufbruch und Ankunft verwoben mit der Suche nach Frieden durch die Natur.
Freitag, 15. August 2025
Veiko Tammjärv: Hotel zum verunglückten Alpinisten
Verlagsinfo:
Seltsames ereignet sich in dem abgelegenen Berghotel »Zum verunglückten Alpinisten«: Polizeiinspektor Glebsky wird von einem anonymen Anrufer ins Hotel bestellt, ein Fehlalarm, wie sich herausstellt. Als eine Schneelawine das Hotel von der Außenwelt abschneidet und die Abreise des Inspektors verhindert, überstürzen sich die Ereignisse: Olaf, einer der sonderbaren Hotelgäste, wird tot aufgefunden und so mancher Gast ist überzeugt, dass übernatürliche Kräfte am Werk sind. Gut, dass Glebsky vor Ort ist, um dem rätselhaften Geheimnis des Hotels auf den Grund zu gehen.
Die Graphic Novel basiert auf dem gleichnamigen, 1970 veröffentlichten Roman der Brüder Boris und Arkadi Strugatzki. Ihre visionären Romane dienten als Vorlagen für Filmklassiker wie Stalker und haben das Genre der Science-Fiction maßgeblich mitgeprägt. Die estnische Verfilmung des Romans »Hotel zum verunglückten Alpinisten« von 1979 war ein großer Kinoerfolg. Veiko Tammjärv haucht der unverwechselbaren Ästhetik des Kultfilms neues Leben ein und verleiht der Geschichte eine ganz eigene, frische Perspektive.
Ein mystischer Neo-Noir-Thriller, der die repressiven Machtstrukturen der Sowjetunion anprangert und Fragen des Andersseins aus einem völlig neuen Blickwinkel betrachtet.
Mittwoch, 6. August 2025
Simon Theokas: Der kleine Luchs vom Usma-See
Verlagsinfo: Eine Freundschaft zwischen Tier und Mensch in einem der ältesten Naturschutzgebiete Lettlands. Der kleine Luchs ist mit vielen Tieren befreundet und mit einem ganz besonderen Mann namens Alfreds. Voller Vorfreude ist der kleine Luchs unterwegs zum See, um dort einen schönen Tag mit dem knurrigen Dachs, dem fleißigen Biber und dem starken Bären zu verbringen. Doch es kommt alles anders und ein großes Abenteuer beginnt. Den Usma See gibt es wirklich, er liegt hoch oben im Norden in einem der ältesten Naturschutzgebiete Lettlands und Europas. Dort leben zahlreiche Luchse, aber auch andere wundervolle Tiere.
Montag, 4. August 2025
Kairi Look: Pia Pfefferminz zieht ein
Verlagsinfo: Pia Pfefferminz zieht das erste Mal in ihrem Leben um: in ein schönes altes Haus in der Pappelallee. Im Nu schließt das Vorschulkind dort neue Freundschaften, mit der Nachbarin und ihrem Bernhardiner Baron genau wie mit der Motte im Kleiderschrank. Die Welt der Erwachsenen betrachtet Pia auf ganz eigene Weise. So beobachtet sie zum Beispiel den geheimnisvollen Mann in ihrem Haus, der irgendwas mit Politik zu tun hat und sich in Luft auflöst, sobald man sich ihm nähert. Sie hat viel Spaß mit Pirka, der punkigen Freundin von Onkel Rasmus, und tröstet ihren Großvater, wenn die Großmutter ihm verbietet, mit seinem Moped herumzuflitzen.
In 31 bunt illustrierten Geschichten erleben wir kleine Alltagsabenteuer mit Pia Pfefferminz und werden dabei wunderbar unterhalten. Ein großes Vergnügen!
Freitag, 13. Juni 2025
Dace Vigante: Eismeer
Aus dem Lettischen übersetzt von Bettina Bergmann. Verlag Friedrich Mauke KG, Weimar 2025. 120 Seiten, ISBN 978-3-948259-30-3, 18,00 €Verlagsinfo:
Mutter und Tochter – näher zusammen und weiter entfernt können zwei Menschen nicht sein.
Wenige Figuren prägen dieses Kammerspiel: Die schöne stolze Irma, die mit ihrem Mann unter Stalin in ein Straflager am Polarmeer deportiert wird. Ihr damals fünfjähriger Sohn Kaspars und ihre Tochter Māra, zu der Zeit noch ein Baby, die in Lettland zurückbleiben.
Mara, für die ihre Mutter nur ein märchen-haft schönes Bild auf einem Foto war, lernt ihre Mutter kennen, als sie längst ein Teenager ist. Unüberwindbar scheint der sich schnell aufbauende Konflikt. Das Herz der Mutter wirkt von der Kälte des Lagers am Polarmeer gefroren. So vergehen die Jahre in eisiger Nähe. Wie könnte dieses Eis tauen?
»Eismeer« ist die erste Geschichte, mit der Dace Vigante der literarische Durchbruch gelangt. Es ist die Geschichte von Frauen, die durch die engste mögliche Verwandtschaft und das grausamste Jahrhundert der Menschheitsgeschichte zugleich verbunden und getrennt sind. Die Funken der Intimität und Liebe liegen so tief verborgen, dass es scheint, als sei ein Eismeer über den Herzen entstanden. Es erfordert großen Mut, das Eis der Entfremdung zu durchbrechen. Dace Vigante schreibt darüber.
Donnerstag, 12. Juni 2025
Theodor Nebl: Das Glücksei und die weiße Schlange
Neu erzählt und in Reime gesetzt von Theodor Nebl. Liebevoll illustriert von Uta Ehlers. Verlag Book on Demands, Norderstedt 2024. ISBN 978-3-769354-8-12, 334 Seiten, 19,80 Euro.
Verlagsinfo:
Estlands bezaubernde Märchenwelt
euch ganz sicher gut gefällt!
Nicht selten spielen darin Prophezeiungen
und Patengeschenke eine Rolle,
meistens einer supertolle!
Prinzessinnen von bösem Zauber
und von Drachen zu befrein
fällt oftmals Bauernburschen ein.
Manch einer, der als Dummling verlacht
und dem der Vater nichts vermacht,
hat es in der Welt zu was gebracht!
Über böses Geschick, Liebe und Mut
wird in den Märchen berichtet
und auf Spannung nicht verzichtet!
Und noch viel mehr und noch viel mehr!
Lest die Märchen, das fällt nicht schwer.
Dann werdet ihr staunend sehn,
gereimt sind sie besonders schön!
Freitag, 23. Mai 2025
Rein Raud: Der Tod des vollendeten Satzes
Verlagsinfo: Estland zur Zeit der Singenden Revolution: Noch existiert die Sowjetunion, die sich das Land 1940 brutal einverleibt hatte, aber seit Gorbatschows Politik von Glasnost und Perestroika bröckeln die Strukturen der kommunistischen Diktatur. Viele, vor allem junge Leute, leisten Widerstand und engagieren sich für die Abschüttelung des sowjetischen Jochs und damit für ein freies Estland. Eine Gruppe junger Männer und Frauen hat ein ausgeklügeltes System entwickelt, Personalakten des KGB in die Hände zu bekommen und ins Ausland – nach Schweden und Finnland – zu schmuggeln. Das ist nicht ungefährlich, denn noch funktioniert der Unterdrückungsapparat, der die Gruppe im Visier hat. Zwischenmenschliche Beziehungen, zarte Romanzen und heftige Leidenschaften entstehen – können sie Bestand haben oder werden sie im Spannungsfeld von Vertrauen und Misstrauen gar als Kampfmittel eingesetzt?
Der Autor beschreibt die letzten Jahre vor der Wiedererlangung der Freiheit mit einem feinen Sinn für das menschlich Abgründige und die Komplexität persönlicher Beziehungsgeflechte.
Donnerstag, 22. Mai 2025
Virginija Kulvinskaite: Vier
Verlagsinfo:
Vier Kurzgeschichten aus einer fiktiven Hafenstadt an der Ostsee –
vier Hauptfiguren: Lukas, Inga, Marius, Nora – alle im Alter zwischen
dreißig und vierzig. Lukas, der aus dem Ausland zurückgekehrte
Schriftsteller trifft Damen aus der High Society in einer makabren
Situation. Die geschiedene Inga lässt sich auf Männergeschichten ein, um
Ihr Glück zu finden. Marius, der Underdog in der Schule, sucht sein
Auskommen mit dem Recht der Stärkeren. Und schließlich finden wir Nora
mit ihrem jüngeren Liebhaber auf Drogen.
Die Litauerin Kulvinskaitė nimmt Menschen unter die Lupe, die
vermeintlich am Rand der Gesellschaft ihr Glück suchen. Spannend, mit
makabrem Humor und mit unvorhersehbarer Auflösung.
„Und was machen wir jetzt mit ihm?“, flüsterte Sara zu Eva gebeugt, aber Lukas hörte jedes Wort mit.
„Noch nichts.“ Eva nahm ein paar Stücke rohen Fisch und legte sie auf ihren Teller.
„Strahlend vor Glück, dass man sie endlich brauchte, beobachtete das Mädchen neugierig, wie ihre Mutter die glänzende Alufolie vom Hals der dunkelgrünen Flasche entfernte. Als Julė den Korken langsam herauszog, hielt sich Brigė die Ohren zu und duckte sich, blieb aber auf dem Sofa sitzen. Das dumpfe Knallen des Korkens, das gleich zu hören wäre, und die Freundin ihrer Mutter, die einer Füchsin mit buschigem Schwanz glich, hielten sie am Ort.“
Vier Kurzgeschichten aus einer fiktiven Hafenstadt an der Ostsee – vier Hauptfiguren. Die Litauerin Kulvinskaitė nimmt Menschen unter die Lupe, die vermeintlich am Rand der Gesellschaft ihr Glück suchen. Spannend, mit makabrem Humor und mit unvorhersehbarer Auflösung.
Freitag, 4. April 2025
Vilis Kasims: LYSERGSÄUREBLUES
Verlagsinfo:
Flash Fiction aus Lettland. In 37 Texten, Kurzprosa und Gedichtprosa,
erzählt der Autor aus einem merkwürdigen Alltag. Mal sitzt dem Erzähler
ein Obdachloser auf der Schulter und macht ihm klar, dass alle
Anstrengung sowieso nichts bringen wird, mal kommt per
Satellitenfernseher echte Farbe ins echte Leben, oder ein altes Radio
dient als direkte Verbindung in die eigene Erinnerung. Traum- oder
tranceartige Sequenzen führen in eine erlebte und wiederbelebte
Wirklichkeit um die Jahrtausendwende im Norden Osteuropas.
Vilis Kasims
geboren 1986, lettischer Autor, Übersetzer, Redakteur und Literaturagent. Bisher drei Prosabände. Kasims übersetzt Literatur aus dem Englischen, Russischen, Katalanischen und Spanischen und ist Redakteur der Literaturzeitschrift Punctum. Er lebt und arbeitet in Riga.
Dienstag, 1. April 2025
Indre Valantinaite (Hg.): Aus dem Jerusalem des Nordens
Verlagsinfo:
Die Gedichtanthologie „Das Jerusalem des Nordens“, der erste Band
unserer neuen Reihe „Literatura Baltica“ versammelt Gedichte von 22
litauischen Dichterinnen und Dichtern. Zusammengestellt und
herausgegeben von Indrė Valantinaitė setzen sie sich mit der jüdischen
Vergangenheit des Landes, dem jüdischen Leben in Litauen auseinander.
Mit dieser dreisprachigen Edition (Litauisch, Hebräisch (Ivrit) und
Deutsch) möchten wir unseren Beitrag zu einer universellen
Erinnerungskultur leisten und die Schönheit litauischer Poesie einem
deutschsprachigen Publikum nahebringen. Die Übersetzung von Cornelius
Hell vermittelt Klang und Rhythmus kongenial.
Mit Gedichten von: Lina Buividavičiūtė, Marius Burokas, Ilzė Butkutė, Vaiva Grainytė,
Jurgita Jasponytė, Antanas A. Jonynas, Donaldas Kajokas, Laurynas
Katkus, Giedrė Kazlauskaitė, Mindaugas Kvietkauskas, Aidas Marčėnas,
Kęstutis Navakas, Gytis Norvilas, Violeta Palčinskaitė, Sigitas
Parulskis, Kornelijus Platelis, Rolandas Rastauskas, Egidija Šeputytė,
Rimas Uzgiris, Indrė Valantinaitė, Tomas Venclova, Agnė Žagrakalytė
Dienstag, 18. März 2025
Michael Thumann: Eisiges Schweigen flussabwärts
Eine Reise von Moskau nach Berlin. C.H.Beck Verlag, München 2025. ISBN 978-3-406-83003-7, 284 Seiten, 26,00 Euro.
Verlagsinfo:
Michael Thumann legt nach seinem SPIEGEL-Bestseller «Revanche» einen
sehr persönlichen Reisebericht vor, in dem er die erneute Teilung
Europas mit eigenen Augen erkundet. Er beschreibt in eindringlichen
Reportagen und Augenzeugenberichten seinen Weg aus Moskau heraus über
die schwer bewachten Außengrenzen Russlands, erst nach Osten Richtung
Zentralasien, dann nach Westen über die baltischen Staaten und Polen
nach Deutschland: von Moskau nach Berlin, mitten durch den neuen
Eisernen Vorhang hindurch.
Thumann nimmt uns mit zu endlosen
Befragungen an Grenzübergängen, er besucht russische Flüchtlinge in den
Nachbarstaaten, kommt auf seinem Weg von Ost nach West mit Menschen aus
ganz Osteuropa zusammen und schildert ihre Ängste vor Russlands
Revanchismus und Kriegslust. Oder ihre vorauseilende Unterwerfung
angesichts von Putins unaufhörlichem Expansionsdrang. Thumann blickt
dabei auch auf die eigene Familiengeschichte und seine zerplatzten
Träume nach dem Ende der Sowjetunion zurück und spürt den Gründen für
das prekäre deutsch-russische Verhältnis in der Geschichte und Gegenwart
nach. Thumanns Buch ist ein mitreißendes zeitgeschichtliches Zeugnis
von der Suche nach einer Sicherheit, die wir alle verloren haben.
Dienstag, 25. Februar 2025
Detlef Henning: Geschichte der lettischen Geschichtsschreibung
Verlagsinfo:
Mit
dem nationalen Erwachen der baltischen Völker im 19. Jahrhundert
begannen Esten, Letten und Litauer, die Geschichte ihrer Nationen und
Länder unabhängig von deutschen und russischen Einflüssen zu schreiben
und zu erforschen.
Die Monografie Geschichte der lettischen Geschichtsschreibung
bietet erstmals eine Gesamtdarstellung der lettischen
Geschichtsschreibung und Geschichtswissenschaft, ihrer Genese im 19.
Jahrhundert, ihrer personellen und institutionellen Etablierung nach
Gründung der Republik Lettland im Jahr 1918 sowie ihrer weiteren, von
politischen und ideologischen Brüchen gekennzeichneten Entwicklung bis
in die Gegenwart. Die Studie skizziert die historischen und politischen
Herausforderungen, denen sich lettische Historiker in den
unterschiedlichen Perioden ihrer Geschichte gegenübersahen, nennt die
wichtigsten Protagonisten und Institutionen des lettischen
Geschichtsfeldes und beschreibt die Themen und Konzepte, die im Laufe
von knapp 150 Jahren die lettischen Diskurse und Kontroversen
bestimmten. Umfangreiche Literaturangaben zitieren zudem die
wesentlichen Forschungsergebnisse lettischer Historiker, die aufgrund
sprachlicher Grenzen oftmals nur wenigen westlichen Fachleuten bekannt
sind.
Freitag, 21. Februar 2025
Ricarda Messner: Wo der Name wohnt
Roman. Suhrkamp Verlag, Berlin 2025. ISBN 978-3-518-43232-7, 170 Seiten, 23.00 Euro.
Verlagsinfo:
Hausnummer 36 und 37, hier in Berlin haben sie jahrelang in direkter
Nachbarschaft gelebt. Als Kind spielte die Enkeltochter Tischtennis auf
dem Glastisch im Wohnzimmer der Großeltern. Als Erwachsene löst sie
deren Wohnung schließlich auf, bringt Besteck, Töpfe und Musikkassetten
nach nebenan zu sich. Und sie will noch etwas bewahren: Levitanus, den
Familiennamen. Der Wunsch, den Namen wieder anzunehmen, begleitet sie
nicht nur im Alltag, sondern führt sie auch nach Riga. Sie folgt den
Worten ihres Urgroßvaters Salomon und findet ein Fenster im ehemaligen
Rigaer Ghetto, das eng mit ihrer Familiengeschichte verknüpft ist – und
sie zeichnet die Bewegungen von vier Generationen nach, vom sowjetischen
Lettland der siebziger Jahre bis nach Deutschland.
Ricarda
Messner erzählt in ihrem Debütroman vom Ort ihrer Erinnerungen, kehrt
immer wieder zurück zum Leben in zwei Wohnungen, nähert sich Verlusten
und Lücken, verbindet Heute und Gestern. Wo der Name wohnt lässt so zärtlich wie klar eine Familie aufleben und bewahrt ihre Geschichten.
Donnerstag, 30. Januar 2025
Indrek Hargla: Apotheker Melchior und der Teufel von Gotland
Verlagsinfo:
Reval, estnisch Tallinn, im Jahre 1433: Apotheker Melchior Wakenstede
wird an das Sterbelager eines wohlhabenden Kaufmanns gebeten, der von
ihm indes keine Arzneien
will, sondern ihn mit der Klärung einer lang zurückliegenden Bluttat
beauftragt. Während er versucht, das Rätsel der Vergangenheit zu lösen,
wird plötzlich sein Lehrjunge ermordet und bald darauf auch Melchiors
Leben bedroht. Wie hängt das alles zusammen mit der Warnung in einem
Brief, die er von seinem Sohn aus Lübeck bekommen hat? Ist der darin
erwähnte Gotlandteufel auf Mord aus? Hat er es auf den Apotheker
abgesehen? Und wieso wird Melchior das Gefühl nicht los, dass für den
Mord an seinem Lehrjungen die falsche Person gehenkt worden ist?
Parallel dazu setzt Melchior junior in Lübeck seinen Lebensweg fort und
versucht seiner großen Liebe Lucia näherzukommen. Kann er die Tochter
des stark verschuldeten Kaufmanns für sich gewinnen? Einmal schon hat er
für seine Liebe einen Mord begangen, muss er es wieder tun?
Donnerstag, 12. Dezember 2024
Tilo Eckardt: Gefährliche Betrachtungen
Verlagsinfo:
Zum 150. Geburtstag des großen Autors und Literatur-Nobelpreisträgers: Ein historischer Kriminalroman, der Thomas Mann auf noch nie gelesene Weise lebendig werden lässt.
Der Dichter hatte sich vom Strandkorb erhoben und die Jagdszenen beobachtet. Als ich im bescheidenen Triumph die Arme mit den aufgefangenen, zerknitterten Blättern hob, schlug er sich auf die Oberschenkel und klatschte dann in die Hände.
„Ganz vortrefflich!“, rief er, und mir ging das Herz auf.
Eine schillernde Hommage an Thomas Mann und eine spannende Erzählung über Mut, Freundschaft und die Kraft der Literatur, die Welt zu verändern. Ein Roman, der die Grenzen zwischen historischer Wahrheit und dichterischer Erfindung kunstvoll und spielerisch verschwimmen lässt.
Nidden im Sommer 1930, ostpreußisches Fischerdorf und Künstlerkolonie auf der Kurischen Nehrung, einem archaischen Landstrich zwischen wilder Ostsee und stiller Lagune. An dieser weißen Küste „so schön geschwungen, dass man glauben könnte, in Nordafrika zu sein“, landet im Juli 1930 Thomas Mann mit Familie, um das neue Sommerhaus zu beziehen. Daheim in Deutschland droht nach der Auflösung des Reichstags das Ende der Weimarer Republik, und der tief beunruhigte Dichter arbeitet im Bademantel im Schatten seines Strandkorbes heimlich an einer großen Rede, mit der er das deutsche Volk vor dem erstarkenden Nationalsozialismus warnen will. Da kreuzen sich unter außergewöhnlichen Umständen die Wege des weltberühmten Dichters und des jungen litauischen Übersetzers Žydrūnas Miuleris, den Mann hartnäckig und eingedeutscht Müller nennt. Und es ist dieser Müller der den Dichter in größte Schwierigkeiten bringt, als er das Manuskript der brisanten Rede verliert. Die Suche danach scheint weitere rätselhafte Ereignisse in Gang zu bringen. Thomas Mann fühlt sich verfolgt und beobachtet und ein Mitglied seines Hausstandes verschwindet spurlos. Der Dichter und sein Übersetzer sehen sich einem ebenso seltsamen wie aufregenden Fall gegenüber. Zwischen Wanderdünen und Wald, umgeben von exzentrischen Künstlern, stoischen Fischern und neugierigen Kurgästen müssen Mann und Müller alles daransetzen, die Abschriften wiederzuerlangen, bevor sie in die falschen Hände geraten.
Mittwoch, 11. Dezember 2024
Kai Meyer: Das Haus der Bücher und Schatten.
Verlagsinfo:
Bestsellerautor Kai Meyer erschafft eine meisterhafte Melange aus historischem Kriminalroman und bibliophiler Schauergeschichte
Baltikum, kurz vor Beginn des Ersten Weltkriegs. Tiefer Schnee und endlose Wälder schneiden ein Herrenhaus von der Welt ab. Hierher reist die junge Lektorin Paula Engel aus Leipzig, um das Manuskript des Schriftstellers Aschenbrand einzusehen. Paula und ihr Verlobter Jonathan begegnen einem faszinierenden Exzentriker, der ein dunkles Mysterium wahrt.
Freitag, 22. November 2024
Ričardas Gavelis: Vilnius Poker
Verlagsinfo:
»Vilnius Poker« von Ričardas Gavelis ist die große litauische
Wiederentdeckung über die sowjetische Okkupation und was sie im Inneren
der Menschen angerichtet hat.
Vytautas Vargalys wurde vor
der sowjetischen Besatzung Litauens geboren, avancierte zum
Freiheitskämpfer, wurde daraufhin gefoltert und in ein Arbeitslager in
Sibirien deportiert. Er überlebt, wird aber fortan von rätselhaften
Visionen und Erinnerungen heimgesucht und auch von paranoidem
Verfolgungswahn. Denn Vytautas, der seit seiner Rückkehr als
Bibliothekar arbeitet, ist überzeugt: Die bröckelnde sowjetische Macht
lauert hinter jeder Straßenecke, und jede Vorstellung von Wirklichkeit
trägt eine Alternative schon in sich. Seine Affäre mit der
Bibliothekskollegin Lolita wird jäh durch einen Mord beendet – und
mündet in eine Anklage gegen Vytautas. Im Prozess beschreibt jeder der
aufgerufenen Zeugen eine ganz eigene Wahrheit. Wem kann man glauben? Ist
es am Ende die eigene Wahrnehmung, die einen täuscht? Das
monumentale »Vilnius Poker« ist der wichtigste litauische Roman des 20.
Jahrhunderts und ein schillerndes Kaleidoskop, das mit jeder Bewegung
ein neues Bild ergibt.
Donnerstag, 21. November 2024
Inga Gaile: Der Geschmack von schwarzer Erde
Verlagsinfo:
Poetisch und tiefgehend. Zeitgenössische Literatur aus Lettland in deutscher Erstübersetzung.
Ihre Schicksale sind ein Abbild des 20. Jahrhunderts: Violette
Dauphine wird als »Politische« im Konzentrationslager Ravensbrück
interniert und für eine schreckliche Arbeit ausgewählt. Der Lagerarzt
Karls, ein Psychologe aus Lettland, der sich gegen das Unmenschliche
kaum wehren kann – und nicht in seine Heimat zurückkommt, ist daran
nicht unschuldig. Die Lettinnen Lidija und Ilze werden nach Sibirien
verschleppt, während andere diesem Schicksal entkommen. Im sowjetischen
Lettland treffen sie wieder aufeinander. All ihre Leben sind miteinander
verbunden: durch Beziehungen, Kinder oder durch die Umstände, unter
denen sie leben.
Inga Gaile verwebt die Lebensgeschichten dieser Menschen miteinander
über Ländergrenzen und Generationen hinweg. »Der Geschmack von schwarzer
Erde« zeigt die Traumata, die der Zweite Weltkrieg über Generationen
hinterlassen hat, unabhängig von Nation und sozialer Stellung.
Inga Gaile über ihren Roman: »Ich habe versucht, einen Roman über
Menschen zu schreiben, die in der Lage sind, ihre Menschlichkeit in
Situationen und unter Umständen zu bewahren, in denen sie keinen Platz
hat.«
Die lettische Bestsellerautorin lässt uns in ihrem zweiten Roman »Der Geschmack von schwarzer Erde« (Originaltitel »Skaistās«)
tief in die dunkelste lettische und deutsche Geschichte eintauchen. Ein
Meisterwerk der Literatur, brillant übersetzt von Bettina Bergmann.
Mittwoch, 6. November 2024
Stephan Kessler (Hrsg.): Baltische Sprachen und Kulturen in der Diaspora
Verlagsinfo:
In der öffentlichen Wahrnehmung wird das Thema „Migration“ in der Regel
mit wenigen Herkunftsregionen weltweit assoziiert. Wenig bekannt ist im
deutsch-sprachigen Raum hingegen die Migration aus dem Baltikum, obwohl
sie gerade dort eine große politische und soziale Rolle spielt. Wie
viele lettische und litauische Wanderungsgenerationen gibt es und wohin
sind die Auswandernden gegangen? Warum haben sie ihre Heimat verlassen
und wie erging es ihnen an ihren neuen Lebensmittelpunkten?
Der vorliegende Band dokumentiert die verschiedenen Weisen, in denen
Migration aus Lettland und Litauen gelebt wurde bzw. wird, und er will
dazu anregen, die lettische und litauische Diaspora der Gegenwart
differenziert zu betrachten. Neben fundierten historischen,
literarischen und soziologischen Beiträgen behandelt er auch
außergewöhnliche Alltagsfacetten der baltischen Diaspora: z. B. eine von
Eltern organisierte Sonntagsschule in den Vereinigten Arabischen
Emiraten; litauische Internet-Memes, die sich über die seltsamen
Verhaltensweisen der Expats lustig machen; die Bedeutung der heimischen
Küche für die, die in der Diaspora „anders essen“; oder die Motive, nach
denen baltische Diasporians Vornamen für ihre Kinder wählen. (siehe Tagungsprogramm)
Inhalt:
Stephan Kessler: »Die lettische und litauische Diaspora heute: Eine Einführung in das Thema und in den Tagungsband«
Aleksej Andronov / Lidija Leikuma: »Unbekannte östliche Diaspora: Vergangenheit und Gegenwart der Lettgaller Sibiriens«
Helmut Schaller: »Die Baltische Philologie an der Universität München«
Dalia Kiseliūnaitė: »Das Nehrungskurische nach dem Zweiten Weltkrieg in Deutschland und Schweden«
Geert Franzenburg: »Die Bedeutung des Lettischen Gymnasiums Münster für die lettische Diaspora aus religionspsychologischer Sicht«
Inguna Daukste-Silasproģe: »Lettische Exilliteratur im Spannungsfeld zwischen nationaler Selbstisolation und fremden kulturellen Einflüssen«
Eleonore Kruse: »Leben in zwei Welten – die Integration der lettischen Diaspora in Kanada«
Albert Caspari: »Die Sichtweise deutscher Initiativen und Nichtregierungsorganisationen: Die baltische Diaspora als potentielle Mittlerin im Kultur- und Erfahrungsaustausch«
Inga Sindi: »Chancen und Herausforderungen einer multilinguistischen Erziehung in Dubai am Beispiel von Kindern aus lettischsprachigen Familien«
Alina Baravykaitė: »Litauisch als (›kleine‹) Fremdsprache an der Universität Greifswald«
Anastasija Kostiučenko: »Zum Emigrant*innenbild in der litauisch-sprachigen Virtual Community (am Beispiel von Internet-Memes)«
Ojārs Lāms / Mārtiņš Laizāns: »Die Mensa der Gastarbeiter: Wenn der Bauch unter Heimweh leidet«
Christiane Schiller: »Motive der Vornamenwahl für Kinder von in Deutschland lebenden Litauerinenn und Litauern«
Freitag, 1. November 2024
Arnis Aleinikovas: Das Meer
Verlagsinfo:
Arnis hat auf litauisch seine Gedichte geschrieben und gesammelt, während die wunderbare Jules Sacco passende und eindrucksvolle Illustrationen gezeichnet hat. Wir haben die Gedichte gemeinsam mit Arnis ins Deutsche übersetzt und an der Anordnung gearbeitet! In seinem Debütgedichtband verschmelzen im Hier und Jetzt eingefangene Momente mit Erinnerungen, Träumen und Illusionen. Der Autor untersucht sensibel Themen wie Identität, Angst, Realität und Beziehungen und lädt den Leser ein, das „Meer“ aus verschiedenen, ständig wechselnden Perspektiven zu betrachten.
„Blitze von Alltagsmomenten, wie die Sonne, die in den Gischt der Meereswellen glitzert und verschwindet—hinein in die Sehnsucht nach Sinn, die Sehnsucht nach einem geliebten Menschen, die Sehnsucht nach einem friedlichen Dasein. Wir werden eingeladen, Zeugen und Begleiter dieser Blitze zu sein—dort, wo der Schnee sorgfältig und langsam geräumt wurde, wo die Knospen der Blumen bereits sprießen.“ (Schriftstellerin und Dramatikerin Virginija Rimkaitė).
„Arnis Aleinikovas’ oft recht einfache Zeilen, gefüllt mit poetischen und mythischen Bedeutungen, transportieren vertraute Welten über die Grenzen des individuellen Wahrnehmungsvermögens hinaus.“ (Autorin und Turtle Magazine Gründerin Lara Wuester).
Freitag, 11. Oktober 2024
Anja Jonuleit: Sonnenwende
Verlagsinfo:
Der fulminante Abschluss der erfolgreichen »Kaiserwald«-Dilogie von SPIEGEL-Bestsellerautorin Anja Jonuleit
25 Jahre nach dem Verschwinden von Rebecca Maywald in Riga ist ihre Tochter durch einen anonymen Brief auf die Diplomatenfamilie von Prokhoff aufmerksam geworden. Deren Stiftung »Drei Linden« finanziert dubiose Ökodörfer in ganz Europa. Dass Rebeccas Tochter sich in den Sohn der Familie verliebt, war nicht vorgesehen – um keinen Preis darf er ihre wahre Identität erfahren. Und auch er verbirgt etwas vor ihr: Was hat es mit seinen nächtlichen Alpträumen auf sich? Wer ist „J“ in seinem Kalender? Ein weiterer Hinweis führt sie nach Lettland. Angeblich will sie sich das Ökodorf »Tris Liepas« anschauen. In Wahrheit aber muss sie endlich Klarheit gewinnen über das Schicksal ihrer Mutter. Doch die von Prokhoffs setzen alles daran, ein dunkles Geheimnis zu bewahren. Die grandiose Fortsetzung des Erfolgsromans »Kaiserwald« von SPIEGEL-Bestsellerautorin Anja Jonuleit
Mittwoch, 9. Oktober 2024
Jānis Joņevs: Dezember
Verlagsinfo:
„Nach einer Weile kehrte ich zum »nicht existierenden Wahnsinnigen«, zu den »ausgedachten« Dingen zurück. Die Sache ließ mir keine Ruhe mehr. Prokrastination im Internet ist immer produktiv, und schon sehr schnell konnte ich es präzisieren. Die Sache war im Jahr 1997 »nicht passiert«. Aber im Internet fand ich darüber wenig. Ein guter Grund, es ruhen zu lassen. Damals scheute ich mich noch davor, Leute zu befragen. Das Thema erschien mir nicht korrekt, nicht geistreich. Aber es gab andere Quellen, nach denen man suchen konnte. Deshalb zog ich mich von den geistreichen Gesprächen auf der Terrasse zurück in die Bibliothek und begann, in der Presse aus jener Zeit zu blättern.“
Der lettische Schriftsteller Jānis Joņevs nimmt uns mit auf eine Spurensuche zurück in die 1990er Jahre. Brutale Morde in Riga, die von der Presse zu einer Mordserie aufgebauscht werden, werden noch einmal untersucht, durch Befragungen und Recherche in alten Zeitungsberichten. Eine True-Crime-Geschichte, die zugleich ein Panoptikum der wilden Nachwende-Jahre ist, in der alles möglich schien.
Dienstag, 1. Oktober 2024
Debora Sommer: Juliane von Krüdener
Eine Baronin missioniert Europa. Francke Buch-GmbH, Marburg 2024. 400 Seiten, ISBN 978-3-96362-416-2, 16,00 €.
Verlagsinfo:
Die hochgebildete, deutschbaltische Botschaftergattin Juliane von
Krüdener (1764–1824) versetzte mit ihrem missionarischen Wirken halb
Europa in Aufruhr: durch ihre Botschaft, ihren Einfluss auf die
europäische Politik als Vertraute von Zar Alexander I. sowie als
Sozialreformerin von West- bis Osteuropa.
Tauchen Sie ein in die Zeit der französischen Revolution. Entdecken Sie
die vergessene Geschichte einer einflussreichen Schriftstellerin und
Salondame, die die vorherrschenden Schranken durchbrach und im Auftrag
Gottes mutig neue Wege beschritt.
Anhand neuester Forschungsergebnisse dokumentiert diese Biografie das
Leben einer faszinierenden Zeitgenossin von Napoleon, Goethe und
Pestalozzi, die durch einen Herrnhuter zum lebendigen Glauben an Jesus
Christus fand, und gibt ihr ihren Platz in der Geschichte zurück.
Mittwoch, 25. September 2024
Riss durch Europa | Rift through Europe
Verlagsinfo:
Mit dem Hitler-Stalin-Pakt begann vor 85 Jahren der Zweite Weltkrieg in Europa. Die Erinnerungen an dieses Abkommen trennt bis heute die Erinnerungsgemeinschaften in Ost und West.
Für die Länder Ost- und Mitteleuropas hatte die Unterzeichnung des Hitler-Stalin-Pakts am 23. August 1939 schwerwiegende Folgen. Eine Woche später überfiel Deutschland Polen und löste den Zweiten Weltkrieg aus. Nur weitere zwei Wochen später begann auch die Sowjetunion mit Angriffen auf die Länder Ost- und Mitteleuropas. Beide Seiten annektierten gewaltsam Territorien und beendeten die Unabhängigkeit ganzer Staaten. Ihre Besatzungspolitik war von massenhafter tödlicher Gewalt geprägt. Mit dem Angriff des Deutschen Reichs auf Sowjetunion am 22. Juni 1941 endete die Übereinkunft der Diktatoren abrupt. Die Folgen des Pakts aber blieben in Ost- und Mitteleuropa durch die erneute sowjetische Okkupation 1944 und den sich anschließenden Kalten Krieg bis zum Zerfall der Sowjetunion 1991 bestehen. Viele der heutigen europäischen Grenzen gehen auf diesen Pakt zurück. Deshalb leben die Erinnerungen an die Ereignisse von 1939 bis 1941 fort und prägen die Gesellschaft und Politik der Staaten Ost- und Mitteleuropas bis heute. Mit der Osterweiterung der Europäischen Union 2004 wurden diese Perspektiven zwar zunehmend lauter geäußert, dennoch wollen sie bis heute nicht alle hören. Der Band erscheint zur gleichnamigen Ausstellung, die anlässlich des 85. Jahrestags der Unterzeichnung des Paktes ab dem 23. August 2024 im Museum Berlin-Karlshorst gezeigt wird.
Der Band ist zweisprachig - Deutsch und Englisch.
Sonntag, 8. September 2024
Meelis Friedenthal: Die Bienen
Verlagsinfo:
Mit einer Reisetasche und einem neugierigen Papagei kommt der junge
Student Laurentius Hylas Ende des 17. Jahrhunderts im winterlichen
Estland an. Auf der Flucht vor einer düsteren Vergangenheit und dem
Verdacht der Ketzerei macht er sich auf den Weg nach Tartu, der „Stadt
der Musen“. In diesem wissenschaftlichen und philosophischen Umfeld, das
in der Zukunft zum Zeitalter der Aufklärung führen sollte, sucht
Laurentius wie besessen nach einem Heilmittel für die Krankheit, die ihn
quält und die seine Zeitgenossen Melancholie nennen, eine Depression.
Doch je mehr er sich mit Fragen beschäftigt, die er nicht beantworten
kann – Woher kommt die Seele? Welche Beziehung besteht zwischen ihr und
dem Körper? - desto mehr wird er von der Welt des Aberglaubens und der
Heilmittel der Bauern auf dem Land angezogen. Eine Welt, die er schon
als Kind kannte, als er an Hexenjagden teilnahm, und die ihn in Träumen
und Visionen heimsucht. Und eine Welt, die er fürchtet und die sich mit
der Realität zu vermischen beginnt.
Friedenthal taucht tief ins Mittelalter ein, um von der Entstehung eines neuen Zeitalters der Vernunft zu erzählen. Eine Zeit, in der sich die moderne Medizin ihren Weg durch Ängste und den alten Glauben an die Alchemie bahnt. Der dunkle Norden von der strahlenden Antike träumt und von der Harmonie einer Welt, die vielleicht durch eine Sehnsucht nach Licht, Gold und Honig heilen kann.
Donnerstag, 5. September 2024
Denise Snieguolė Wachter: Vilnius
Verlagsinfo:
Die Vielfalt der litauischen Küche kennenlernen
Vilnius, eine Stadt mit einer jahrhundertealten Geschichte, überzeugt kulinarisch mit ihrer Vielfalt an köstlichen Gerichten. Wir begleiten Denise Snieguole Wachter in die Heimatstadt ihrer Mutter. Dorthin, wo sie einst viele Sommer verbracht hat. Die Erinnerungen daran hat die Autorin in diesem Buch eingefangen. Mit Gerichten und Geschichten über Menschen, die die Küche in Vilnius zu der machen, die sie heute ist. Mit Märkten, die für die Vergangenheit stehen und für die Gegenwart.
In der jungen Gastroszene von Vilnius treffen sich Gastronominnen und Gastronomen, deren Nationalstolz und Streben nach höchster Qualität eins sind, die die Gerichte ihrer Heimat lieben und ihnen trotzdem einen modernen Anstrich geben wollen.
Das Kochbuch bietet typische Gerichte wie das frittierte Knoblauch-Brot »Kepta duona« mit litauischem Aioli oder die pinke Suppe »Saltibarsciai«, aber auch eigene Interpretationen wie Carpaccio von der Forelle oder den Vilnius-Burger. Auch raffinierte Desserts wie die beliebte Napoleontorte kommen nicht zu kurz. Dieses Buch ist eine inspirierende Reise zu den kulinarischen Highlights der Hauptstadt Litauens.
Denise Snieguole Wachter ist die Genuss- und Kulinarik-Expertin des STERN, die schon als Kind lieber Kochbücher als Romane las. Sie ist fasziniert davon, wie man mit Gerichten Geschichten erzählen kann.
Montag, 2. September 2024
Anšlavs Eglītis: Schwäbisches Capriccio
Verlagsinfo:
Anšlavs Eglītis (1906–1993) nutzte die eigene Lebensgeschichte –
seine Flucht 1944 vor der Roten Armee nach Deutschland – als Vorlage für
einen bitterkomischen Episodenroman. Der ausgebombte lettische
Flüchtling Pēteris Drusts strandet von Berlin aus in dem kleinen
Städtchen Pfifferlingen auf der Schwäbischen Alb, einer vermeintlichen
Durchgangsstation auf dem Weg in die Schweiz. Der Zweite Weltkrieg wütet
noch, doch die Pfifferlinger gehen fernab von den Gefechten an der
Front und den Bombardierungen der Metropolen ungerührt ihren
Alltagsgeschäften nach. In dieser hinterwäldlerischen Provinz eckt der
Rigaer Pēteris Drusts mit seinen großstädtischen Manieren an: Einerseits
ist er auf die Güte der einheimischen Bevölkerung angewiesen, etwa für
ein Dach über dem Kopf und ein warmes Essen – andererseits sind ihm die
Pfifferlinger intellektuell und kulturell meilenweit unterlegen. Doch er
darf ihre Bauernschläue nicht unterschätzen.
Die Episoden sind wie an einer Perlenschnur aufgereiht. Einige berichten von Drusts kuriosen Begegnungen und Verwicklungen mit den alt eingesessenen kauzigen Kleinstädtern, andere erzählen schildbürgerartige Begebenheiten der Stadtgeschichte. Berthold Forssman trifft in seiner scharf ausbalancierten Übersetzung genau die zugespitzte Komik von Anšlavs Eglītis, die aus dem Aufeinandertreffen der existenziellen Lebenssituation eines Geflüchteten mit der Behäbigkeit und Begriffsstutzigkeit der Einheimischen entsteht. Der doppelbödige Humor ist von Schmerz gezeichnet – nur mit befreiendem Gelächter ist die grausame Absurdität des Lebens zu ertragen.
Samstag, 31. August 2024
Antanas Gailius: Hier
Gedichte und Essays. Thelem Universitätsverlag, Dresden / München 2024. ISBN: 978–3–95908–586–1,
29,80 €
Verlagsinfo:
Antanas Gailius zählt zu den bedeutenden Schriftstellern und
Intellektuellen in Litauen – vor und nach 1990. In seinen Gedichten
werden eine Landschaft und eine Tradition zur Sprache gebracht,
die allzu lange in Deutschland nur verfälscht unter einer kolonialen
Perspektive wahrgenommen wurden. Gailius Essays knüpfen hier an – als
Ortsbestimmungen eines eigenständigen Litauen in der
Geschichte unseres Kontinents und als Fragen, die über die Sprach-
und Landesgrenzen Litauen und Deutschland in ein neues Verhältnis in
einem demokratischen Europa setzen.
Antanas Gailius (geb. 1951 in Švendriškiai, Litauen) schreibt
Gedichte und Essays und er ist als Übersetzer aus dem Deutschen sowie
dem Niederländischen tätig. Zu seinen wichtigsten Übersetzungen
gehören Werke von Franz Kafka, Thomas Mann, Rainer Maria Rilke und
Johan Huizinga.
Antanas Gailius lebt und arbeitet in Vilnius.
Donnerstag, 22. August 2024
Manfred Stahnke: Aliutė Mečys
Verlagsinfo:
Aliute Mecys ist eine große, bisher ziemlich unbekannte Hamburger Malerin, die nach und nach eine immer tiefere Beziehung zu Litauen gewann. Sie wurde am 4. April 1943 in Koblenz als Kind einer deutschen Mutter und eines litauischen Vaters geboren und starb 2013 in Hamburg.
Sie spielt mit den Möglichkeiten und den "Spielen" des Sehens, und genau das sehe ich bei ihr als primär an, und gar nicht die Komponente einer persönlichen "Schreckensdarstellung". Diese erscheint nur auf einer ersten Oberfläche unseres Sehens. Mecys hat sich immer wieder in diese Richtung geäußert:
"Was ich male, ist für mich nicht makaber. Für mich ist das ganz real. Für mich sind das keine Erfindungen. Ich denke viel in Bildern, und ich sehe bildhaft vor mir, was ich höre oder lese."
Ich nehme Mecys gewissermaßen als sehr menschliches, sehr schmerzliches Beispiel für den heutigen Zusammenbruch aller liebgewordenen Klarheiten über unser Weltverständnis, und gleichzeitig auch für die Notwendigkeit, uns neu zu positionieren. Das betrifft unsere Sinne (Maturana) und das betrifft unser Weltkonzept (Lyotard). Beide haben für mich auch miteinander zu tun, und sie erklären den Freiheitsdrang von Mecys: Jean-François Lyotard sieht - und fordert letztlich - die Befreiung von alten ideologischen Denkmustern Europas. Humberto Maturana sieht ganz ähnlich das Zusammenbrechen einer alten Vorstellung, nämlich dass die Welt draußen kalt vor uns steht und wir deren Idee nur entblättern müssten. Im Gegenteil sind wir für ihn als Beobachter selbst die Erbauer der Welt. Durch Lyotard und Maturana können wir einen philosophisch-gesellschaftlichen und einen wissenschaftlich-psychologischen Zugang zu Aliute Mecys finden.
Samstag, 17. August 2024
Marina Jarre: Weit entfernte Väter
Verlagsinfo: Das kleine Mädchen Marina lügt gern und mit poetischer Hingabe. Ein Akt rebellischer Selbstbehauptung gegenüber einer Welt, in der es die strengen Regeln der Mutter gibt, um deren Liebe sie ringt, aber auch den glutäugigen Vater, der erst mittags aufsteht und sich an keinerlei Regeln zu halten scheint. Einer Welt, in der sie getauft und trotzdem jüdisch sein soll – wie ihr russischer Großvater, den die Mutter verachtet.
Marina Jarre erzählt von der Kindheit im multikulturellen Riga der 1930er Jahre. Vom jähen Bruch, als sie nach der Trennung der Eltern zu ihren Großeltern ins faschistische Italien kommt. Von der Aneignung einer neuen Sprache, in der sie zu ihrer Stimme und ihrer Wut findet, in der sie mit ihren Kindern spricht und sich von der Tochterrolle befreit, von der Wandlung der kleinen Lügnerin zur großen, wahrhaftigen Schriftstellerin.
Marina Jarre (1925-2016) wurde in Riga als Tochter eines lettisch-russisch-jüdischen Vaters und einer waldensisch-italienischen Mutter geboren. Sie verbrachte ihre Kindheit in Lettland, bis sich ihre Eltern 1935 trennten und sie zu ihren Großeltern mütterlicherseits zog, die in einer französischsprachigen Waldenser-Gemeinde südwestlich von Turin lebten. Jarre gilt als eine der wichtigsten Stimmen der italienischen Literatur der Moderne. Mit Weit entfernte Väter kann diese außergewöhnliche Schriftstellerin endlich auch auf Deutsch entdeckt werden.
Mittwoch, 31. Juli 2024
Abraham Sutzkever: Vierkantige Lettern
Verlagsinfo: Der jiddische Poet Abraham Sutzkever (1913–2010) gehört zu den
bedeutendsten Lyrikern des 20. Jahrhunderts. Nicht sein Schicksal ist
einmalig, sondern seine Fähigkeit, den Gang durch die Hölle lyrisch
beschreiben zu können.
Sutzkever, in Litauen geboren, verlebte seine Kindheit in Sibirien, zog
nach dem Tod des Vaters zurück nach Wilna, galt unter den jiddischen
Schriftstellern als Einzelgänger. Er erlebte den mörderischen Überfall
der Deutschen, Ghettoisierung und Holocaust. Ihm gelang die Flucht in
die Wälder, sagte als jüdischer Zeuge in Nürnberg aus, emigrierte nach
Israel, war Herausgeber der bedeutendsten Zeitschrift für jiddische
Literatur: Di goldene kejt.
Manches im Jiddischen klingt süß, manches pathetisch. Sutzkevers ernst
empfängliche Natur widersteht dem Pathos durch Zartheit und Phantasie.
Seine Gedichte, ob sie von Liebe, Tod, Verfolgung oder vom
existenziellen Drama handeln, sind geschrieben mit dem »blanken,
flehenden Messer«. Der Poet berührt den offenen Nerv der deutschen
Geschichte: Verfolgung und Widerstand, Grausamkeit und das Wunder der
Rettung. Obwohl ihn die Erfahrung des menschengemachten Grauens für
immer prägte, war Sutzkever nie nur der ›Dichter des Holocaust‹, sondern
ein Poet der conditio humana, ein schreibender Hiob und Schöpfer einer
unverwechselbar eigenen, phantasievollen Bildsprache.
Freitag, 7. Juni 2024
Marius Marcinkevičius: Als die gelben Blätter fielen
Verlagsinfo:
Eine feinfühlige Geschichte über Hoffnung und Freundschaft in Zeiten des Nationalsozialismus.
Alon isst gern Bagels, die es aber leider viel zu selten gibt. Er spielt Geige und sitzt mit seiner Freundin Riwka auf dem Dach ihres Hauses, lässt seinen Drachen steigen und schaut über die Stadt. Aber das Leben ist schwierig, denn es ist das Jahr 1943, und Alon und Riwka wohnen im Getto und tragen einen gelben Stern. Niemand darf das Getto verlassen. Und wer doch durch das Tor hinausgeht, kehrt nicht zurück.
Zart und ergreifend erzählt Marius Marcinkeviçius von zwei Kindern, die die Schrecken des Holocausts erleben. Sie werden getrennt, aber finden sich Jahrzehnte später wieder, dank eines Kieselsteins, der zum Symbol für ihre Stärke und das Überleben wird.
„Als die gelben Blätter fielen“ ist in Litauen bereits mehrfach
ausgezeichnet. Kein Wunder: Autor Marius Marcinkeviçius und
Illustratorin Inga Dagile schaffen es, auf einfühlsame Weise eine tief
bewegende Geschichte über Hoffnung und Freundschaft zu Zeiten des
Holocausts zu erzählen. Das besondere Bilderbuch ist für Kinder ein
guter Einstieg zu dem Thema Nationalsozialismus. Es richtet sich an
junge Leser*innen zwischen 8 und 11 Jahren, ist aber eine wichtige
Lektüre für alle Menschen – unabhängig vom Alter.
Mittwoch, 5. Juni 2024
Edward Anders: Unter Letten während des Holocaust
Verlagsinfo:
Edward Anders (*1926) wird als Eduards Alperovičs in der Hafenstadt Libau (auf Lettisch: Liepāja) geboren. Seine Eltern sind jüdisch und bürgerlich, Anders‘ Muttersprache ist Deutsch. Mit dem Einmarsch der Roten Armee in das unabhängige Lettland im Sommer 1940 beginnt der Terror. Nach dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion 1941 wird der Vater wie 24 Familienangehörige Opfer des Holocaust. 1944 gelingt Eduards und der Mutter die Flucht in das Deutsche Reich. Nach 1945 studiert er Chemie in München. 1949 wandert er in die USA aus und wird einer der weltweit bedeutendsten Meteoritenexperten. Seit seiner Emeritierung forscht Anders zum Holocaust in Lettland.
Dienstag, 4. Juni 2024
Bianca Schaalburg: Der Duft der Kiefern
Verlagsinfo:
In Der Duft der Kiefern taucht die Berliner Autorin in ihre
Kindheit ein und stößt dabei auf Verdrängung und Lügen. Was hat ihr
Großvater Heinrich, angeblich als Buchhalter bei der
Wehrmacht in Riga stationiert, von den Gräueltaten der Nazis
gewusst? War er vielleicht selbst beteiligt? Bald stellt sich die Frage
nach der Mitschuld ihrer Familie. Sie erfährt, dass diese in
einem Haus lebte, das ehemals von jüdischen Mitbürgern bewohnt
war. Hat die Familie von der Vertreibung profitiert oder war sie gar
dafür verantwortlich? Bianca Schaalburg
recherchiert die Ereignisse und stellt die Frage nach Schuld und Verantwortung einer ganz normalen deutschen Familie.
Wir folgen ihrer detektivischen Spurensuche durch die Nazizeit, die
Nachkriegsjahre bis zu den Stasi-Akten des Kalten Krieges und ins Jahr
1968, wo sich alles ändern sollte ...
Mittwoch, 29. Mai 2024
Alexander Juraschke: Otto "Schloime" Fischer
Ein jüdischer Fußballstar aus Wien. Verlag Hentrich&Hentrich, Leipzig 2024. 120 Seiten, ISBN 978-3-95565-650-8, 15,00 €.
Verlagsinfo:
„Der Kuckuck soll dich holen, mit Donner und Pistolen, wenn Du
vergißt, wer dein Onkel Otto ist. Zur Erinnerung von deinem Onkel Otto
Fischer.“
Diese Zeilen schrieb der berühmte österreichische Fußballstar
und Nationalspieler Otto Fischer im Jahr 1932 in das Poesiealbum seiner
Nichte Alice Tichy. Vielleicht ahnte er bereits, dass die Erinnerung an
ihn verblassen würde. In der Zwischenkriegszeit gehörte Fischer zur
ersten Generation Wiener Profifußballer und trug sieben Mal das
österreichische Nationaltrikot. Als begnadeter Dribbler wurde er auf den
Wiener Fußballplätzen gefeiert, als Jude aber auch Ziel antisemitischer
Angriffe. Fischer repräsentierte die Wiener (Fußball-)Schule und
arbeitete nach seiner aktiven Karriere als Trainer in Osteuropa. Im
lettischen Liepāja fand er sein sportliches und privates Glück,
heiratete und führte den dortigen Verein Olimpija Liepāja zu drei
Meistertiteln. 1941 wurde der populäre Coach von den Nationalsozialisten
ermordet. Nach seinem Tod geriet Otto Fischer völlig in Vergessenheit.
Diese Monografie schildert erstmalig sein Leben und Wirken als ein Stück
Wiener Kulturgeschichte im Spannungsfeld zwischen jüdischer
Partizipation und Antisemitismus am Vorabend des Holocaust.
Sonntag, 26. Mai 2024
Anja Jonuleit: Kaiserwald
Verlagsinfo: Eine Suche. Eine Liebe. Ein Verbrechen.
»Deine Mutter ist verschwunden.« Eine Abfolge von Gefühlen zog über sein Gesicht: Ungläubigkeit, Entsetzen und schließlich diese Angst, die nun in der Welt war wie ein Geist, den man aus der Flasche gelassen hat.
Riga, Ostern 1998. Rebecca Maywald verschwindet spurlos. Sie hinterlässt eine achtjährige Tochter. Viele Jahre später setzt ein anonymer Brief Ereignisse in Gang, die das Leben zweier Familien für immer verändern sollen.
Berlin, 2023. Mathilda, Ex-Gebirgsjägerin, provoziert einen Autounfall, um mit Falk von Prokhoff, dem Sohn einer angesehenen Diplomatenfamilie, in Kontakt zu kommen. Der Grund bleibt zunächst unklar. Womit sie nicht gerechnet hat: Dass sie sich in ihn verliebt. Ein gefährliches Spiel um falsche Identitäten, unentdeckte Verbrechen und dubiose Machenschaften der Familienstiftung »Drei Linden« beginnt …
Donnerstag, 23. Mai 2024
David Geringas: Sag das niemandem
Verlagsinfo:
David Geringas gehört zu den bedeutendsten Cellisten der Welt. Als
Uraufführungsinterpret wichtiger Werke von Sofia Gubaidulina, Ernst
Krenek oder Anatolijus Šenderovas hat er Musikgeschichte geschrieben.
Als einflussreicher Pädagoge versorgte er fast alle deutschen
Spitzenorchester mit Solocellisten. Von sich selbst sagt er, er sei
dreimal geboren worden: 1946 durch seine Mutter in Vilnius, 1963 durch
den Unterricht beim Jahrhundertcellisten Mstislaw Rostropowitsch in
Moskau und 1975 durch die Emigration aus der Sowjetunion in den Westen.
Dem Musikpublizisten Jan Brachmann hat Geringas sein Leben erzählt: was
seiner jüdischen Familie in Litauen widerfuhr; wie Rostropowitsch
unterrichtete und sich für den Dissidenten Alexander Solschenizyn
einsetzte; wie er selbst vom Geheimdienst in der Sowjetunion bespitzelt
wurde; welche Fragen die Emigration aufwarf; wie Herbert von Karajan mit
den Berliner Philharmonikern arbeitete; aber auch, wie Geringas selbst
mit großen Komponisten wie Henri Dutilleux, Krzysztof Penderecki oder
György Ligeti deren Werke einstudierte. Entstanden ist dabei ein
lebendiges Dokument zur Zeitgeschichte, das zugleich tiefe Einblicke in
die Kunst des Cellospiels gewährt.
Dienstag, 21. Mai 2024
Tom Ots: Der Kussbrunnen
Verlagsinfo:
Darf ein russisches Mädchen einen estnischen Jungen küssen? Dies ist
eine wahre Familiengeschichte, so real wie tausend andere Familiendramen
der kleinen baltischen Völker. Sie spielt in den 1950er-Jahren, als
Estland Teil der UdSSR war. Den äußeren Rahmen bildet der Kuss zwischen
einem russischen Mädchen und einem estnischen Jungen. Zur Lösung der
Frage, ob ein solcher Kuss denn erlaubt sei, kommen die Verwandten des
Jungen zu Wort: Lebende und Tote, die die Mutter des Jungen, eine
begnadete Geschichtenerzählerin, in ihren Geschichten auferstehen lässt.
Ihre Schicksale, die dadurch geprägt waren, dass das kleine Volk der
Esten zwischen den beiden großen Mächten Deutschland und Sowjetunion
aufgerieben wurde, werden uns lebendig vor Augen geführt.
Der Held
der Geschichte erfährt, dass Völker nur friedlich miteinander leben
können, wenn die Menschen aufeinander zugehen, wenn sie zwar niemals
vergessen, aber verzeihen können. So geht es in dieser Erzählung um die
Vermeidung von Gewalt und Krieg und letztlich um Liebe zwischen den
Völkern.
Mittwoch, 1. Mai 2024
Lina Simutytė: Das Stadtfest
Verlagsinfo:
Mažeikiai – eine kleine Stadt in Litauen – ist Schauplatz dieser
magischen Geschichten über das Aufwachsen und Erwachsenwerden. Ob ein
Großbrand, sexuelle Erfahrungen, Suche nach dem Lebenssinn, immer
entfaltet die Autorin ein Feuerwerk an Farbe, Atmosphäre, Emotionen,
treffen Hollywood, Pop- und Konsumkultur aufeinander. Mit scharfer Feder
legt sie die Schichten des Alltags und der menschlichen Psyche frei.
Der Erzählband „Das Stadtfest“ ist voller Fabulierlust und Fantasie und Lina Simutytės literarisches Debüt.
Dienstag, 30. April 2024
Ieva Toleikytė: Roter glatter Raum
Verlagsinfo:
Toleikytės Poesie erkundet die Beziehung des Menschen zu anderen Lebewesen und der Natur. Das lyrische Subjekt erkundet die Welt, indem es gierig Metaphern erschafft und das ästhetisiert, was gewöhnlich Ekel herovrruft: Schnecken, Würmer, Müll, faule Gewässer. Dabi verbindet die Autorin auf spannende Weise ihre Weltsicht mit aktuellen Themen wie Umweltverschmutzung, Klimaerwärmung, Fleischkonsum und ökologischer Verantwortung. Ihr breiter kultureller Horizont erschließt unerwartete Perspektiven und Raum für freie Interpretationen.
Donnerstag, 21. März 2024
Mart Kivastik: Barbarus
Verlagsinfo:
Johannes Vares ist in den 1930er Jahren – der Zeit der ersten estnischen Unabhängigkeit – Arzt und Lokalpolitiker. Unter dem Namen “Barbarus” ist er auch Schriftsteller. Seine Frau nennt ihn “Jungchen”; er heißt sie “Pieps” – Kosenamen aus besseren Zeiten.
Er lernt einen Russen kennen, der ihm bei Übersetzung seiner Gedichtbände riesige Auflagen in Aussicht stellt. Der Gedanke fasziniert Barbarus.
Dann kommt die Sowjetisierung, das Ende der Unabhängigkeit. Bevor sie den Präsidenten Konstantin Päts absetzen und verschleppen können, brauchen die Russen eine Marionette als Ministerpräsidenten: Johannes Vares, Barbarus. Dass er nur Spielfigur ist merkt er, als er für die Befreiung eines inhaftierten Dichterfreundes nichts bewirken kann. Wird die Ehe mit Pieps die Wandlung vom liberal-progressiven Schöngeist zum Erfüllungsgehilfen der Sowjets überstehen? Wird die Marionette überleben?
Dienstag, 19. März 2024
Rūta Eidukevičienė, Hans Thill (Hrsg): Lied vom Spaziergang
Übersetzt von Rūta Eidukevičienė, Dalia Lorenz, Sigita Barniškienė. Nachdichtungen von Uwe Kolbe, Dagmara Kraus, Thomas Kunst, Marcus Roloff, Lara Rüter und Sonja vom Brocke. ISBN: 978-3-88423-709-0, 26,00 EUR.
Verlagsinfo:
Dass Litauisch eine der ältesten Sprachen Europas ist – der
zeitgenössischen Lyrik des baltischen Landes ist das nicht anzumerken.
Die Sammlung vereint Gedichte, die sich im Gespräch mit der Gegenwart
wissen. Aufregend neu – von namhaften Lyrikern ins heutige Deutsch
gebracht. Hier versteht sich Nachdichtung als kreative Arbeit am
lebenden Gedicht.
Für Birutė Grašytė-Black ist »Kindheit« ein krasser Schreckensort.
Vaiva Grainytė weiß, dass »der Tsunami kein Vegetarier« ist und »jedes
Tier seinen Strichcode« besitzt. In seinem Gedicht »So weit das Feuer
reicht« zeigt sich Donatas Petrošius kühn und angriffslustig. Tautvyda
Marcinkevičiūtė schreibt ihren »Brief an Sylvia Plath«, während Nerijus
Cibulskas wissen möchte, »wer kämmt (…) die widerspenstigen Haare des
Cellos?«, dekretiert Simonas Bernotas: »wenn man Pech im Leben hat, ist
man glücklich nach dem Tod«.
Donnerstag, 14. März 2024
Rimantas Kmita: Remyga
Verlagsinfo:
Litauen Ende der Achtzigerjahre. Nachdem er in der sowjetischen Armee in
Afghanistan gedient hat, kehrt Remyga in seine Heimatstadt Šiauliai
zurück. Er möchte ein normales Leben führen – ein guter Ehemann und
Vater, ein pflichtbewusster Polizist sein. Doch die Schatten der
Vergangenheit und das Chaos um ihn herum werden immer dichter und
dunkler, und die finsteren Mächte gewinnen immer mehr an Einfluss. Er
wird von seinen Albträumen heimgesucht und trifft in seiner Heimatstadt
auf die Liebe, die sein Leben jedoch nur noch mehr durcheinanderbringt.
Wie kann man in einer solch chaotischen Gesellschaft die Grenze zwischen
Gut und Böse ziehen? Wie kann man sich selbst und anderen gegenüber
ehrlich bleiben? Wie kann man seine inneren Dämonen kontrollieren? Was
ist der Preis der Unabhängigkeit – politisch und persönlich?
Litauen
erlangt seine Unabhängigkeit zurück, doch das Böse ist noch immer in den
Menschen verankert. Remyga riskiert seine Liebe, seinen Sohn und sein
Leben, um dieses zu vertreiben.