Verlagsinfo:
Ein Blick zurück: Litauen im Juni 1941. Das Land wurde vor Kurzem von
sowjetischen Truppen besetzt. Eines Morgens wird Algis und seine Familie
unsanft von sowjetischen Soldaten geweckt. Sie haben nur wenige Minuten
Zeit, um zu packen. Algis nimmt seinen Ganter Martin unter den Arm und
sein Vater drückt ihm einen Eimer Äpfel in die Hand. Dann werden sie mit
vielen anderen Litauern in Eisenbahnwaggons gepfercht, ahnungslos,
wohin die Reise gehen wird.
Die Endstation ist ein Lager in Sibirien.
Die Bedingungen hier sind unmenschlich, der Hunger groß, die Winter
bitter. Mit Galgenhumor und bemerkenswertem Ideenreichtum begegnet die
Lagergemeinschaft ihrem Elend. Algis' Tante schwärmt für Japan und hat
es geschafft, ein Buch mit japanischen Haiku ins Lager zu schmuggeln. Es
ist nicht zuletzt diese karge Poesie, die die gefangenen Litauer nicht
verzweifeln lässt. Und um ihr Heimweh zu lindern, gründen sie auch einen
Chor: den Apfelchor. Apfelbäume wachsen in Sibirien zwar nicht, aber
das Singen gibt der Hoffnung Auftrieb, dass dieser Albtraum bald vorüber
sein wird. Schließlich gib es eine Vereinbarung, dass zumindest Kinder
nach Litauen zurückdürfen. Und so entkommen Algis und seine Schwester
dem Schrecken.
Jurga Vilė schildert diese ungeheuerliche Geschichte
aus der kindlichen Perspektive von Algis – ihrem eigenen Vater. Die
Illustratorin Lina Itagaki hat dazu eine einzigartige Bildwelt
geschaffen, in welcher sich Text und Bild zu einem vielschichtigen und
wahrlich aussergewöhnlichen Gesamtkunstwerk verweben. Ergreifend und
ermutigend zugleich. In Litauen wurde das Werk mit zahlreichen Preisen
geehrte, nun liegt es bei Baobab Books in deutscher Übersetzung vor.
Bereits seit 2007 stellt dieser Blog ins Deutsche übersetzte Publikationen aus Estland, Lettland und Litauen vor. Gleichzeitig werden Publikationen deutschsprachiger Autorinnen und Autoren mit estnischen, lettischen oder litauischen Themen einbezogen. Wir möchten aufrufen, verschiedene Leseeindrücke auszutauschen. Die hier aufgeführten Bücher werden für eine Vorstellung in der Radiosendung BALTISCHE STUNDE (Radioweser.tv) vorgeschlagen.
Montag, 24. August 2020
Jurga Vilė: Sibiro Haiku
Samstag, 15. August 2020
Antanas Škėma: Apokalyptische Variationen
€ 25 [D] | € 25,80 [A]
Verlagsinfo:
Antanas Škėma (1910–1961) arbeitete sein ganzes Leben daran, das von ihm Durchlebte in Literatur zu verwandeln. Sein einziger Roman, »Das weiße Leintuch«, gibt Zeugnis von seinem New Yorker Exil. Daneben sind aus allen Phasen seines Lebens literarische Stücke überliefert: Erzählungen, Skizzen, Szenen und Verdichtungen. Es sind in Blickwinkel und literarischer Gestaltung einzigartige Schlüsselszenen der Weltgeschichte: die Kindheit während des Ersten Weltkriegs und des Bürgerkriegs in der russischen und ukrainischen Provinz, Schulzeit und Studium, frühe literarische Versuche im unabhängigen Zwischenkriegslitauen sowie unter sowjetischer und deutscher Besatzung, die dramatische Flucht vor den Sowjets, das Leben als displaced person in Thüringen und Bayern und als Neuankömmling in Chicago und New York. All das spiegelt sich in facettenreichen Prosastücken.
»Apokalyptische Variationen« umspielt die Verheerungen der Geschichte des 20. Jahrhunderts und den Riss, der die Existenzen durchzieht. Schreibend vergewissert sich Škėma seiner Biografie und versucht Sinn und Bedeutung in ihren Splittern aufzuspüren. Wir können lesend nachvollziehen, wie sich die Aussichtslosigkeit in seine Sprache einschreibt, wie diese immer mehr zerspringt, sich auflöst – und wie aus der sprachlichen Entgrenzung eine ganz neue Form entsteht. Claudia Sinnig greift in ihrer Übersetzung die Vielfalt von Škėmas Erzählstilen auf, schürft tief im Sprachmaterial, lotet Trauer und Dunkelheit aus und geht auch der Hoffnung und dem Vorwärtsstreben auf den Grund. Erlösung findet sich vielleicht nicht in Škėmas Leben, aber in seiner Literatur.